Im Waldorfkindergarten

 

Als Henri zur Welt kam, waren seine großen Geschwister Marie und Elias 7 bzw. 4 Jahre alt. Marie besuchte die erste Klasse der Waldorfschule, Elias den Waldorfkindergarten.

Vom Bringen und Abholen seiner großen Geschwister war Henri der Waldorfkindergarten sehr vertraut. Da es kein integrativer, sondern ein „ganz normaler Kindergarten“ mit entsprechendem Personalschlüssel ist, waren wir überrascht und sehr dankbar, dass Henri dort aufgenommen wurde wie jedes andere Kind. Es wurde kein zusätzliches Personal eingestellt und er hatte auch keine Integrationshelferin … Henri lief einfach mit. Dass dies möglich war, verdanken wir der Offenheit der beiden Erzieherinnen, die ihn liebevoll aufgenommen und 3 Jahre mit großem Engagement und ganz viel Herz lang begleitet haben.

 

November 2006

So wohltuend... die ersten Kindergartenmonate

 

An seinem ersten Kindergartentag war Henri vier Jahre alt. Er konnte noch nicht laufen und war zur Fortbewegung immer auf Hilfe angewiesen. Im Freien benutzte er seit einigen Wochen einen kleinen Kinderrollator. Drinnen bewegte er sich vor allem rutschend auf dem mit dicker Lederhose geschützten Po vorwärts. Auf glatten Böden machte er gerade die ersten Versuche, sich mit Hilfe eines kleinen Stühlchens, das er vor sich herschob, vorwärts zu bewegen.

Im Kindergarten lernte er schon bald eine neue Art der Fortbewegung kennen: Erstmals ging er an der Hand, vielmehr an zwei Händchen – meist waren es Emilia und Anna, die ihn führten und ihm halfen, wenn er ein Ziel nicht aus eigener Kraft erreichen konnte. Manchmal wurde er von den großen Mädchen auch mit viel Liebe getragen oder im Puppenwagen geschoben. 

November 2006

Henri und Emilia - Heute begegnen sich die beiden im Rundadinella-Chor.

 

Es war uns eine große Freude, zu erleben, wie Henri im Kindergarten nicht nur von den Erzieherinnen, sondern auch von den Kindern aufgenommen wurde. Er konnte nicht laufen und kaum sprechen und natürlich entsprach seine geistige Entwicklung überhaupt nicht der der anderen Kinder. Dennoch wurde er so wie er ist, als eigene Persönlichkeit, die neben Einschränkungen auch besondere Fähigkeiten hat, auf- und angenommen. Vielleicht gab es anfangs noch Eltern, die von dem "behinderten Jungen" sprachen ... für die Kinder und ich bin sicher, später auch für die Eltern, war es einfach "Henri". Sie haben schnell einen ganz natürlichen Umgang mit Henri gefunden, der ihm nicht nur im Seelischen guttat, sondern ihn auch in seiner körperlichen und geistigen Entwicklung förderte. 

 

November 2006

Mittendrin - hier beim Backen

 

Im Laufe seiner Kindergartenzeit hat Henri nicht nur das Laufen gelernt. Er lernte auch viele lebenspraktische Dinge – alltägliche Fähigkeiten, die für ein Kind mit Behinderung so wichtig sind wie für jedes andere auch: Jacke und Schuhe an- und ausziehen, den Tisch decken, Äpfel schneiden, Wasser eingießen, Geschirr abtrocknen, Stuhlkreis stellen und vieles andere.

November 2006

Eine innige Verbindung, nicht nur beim Hausschuh-anziehen-üben: Henri und Frau Vieser

 

 

 

Juni 2008

Sommerfest, zu dem auch Henris Frühförderin Frau Hartmann eingeladen war.

 

 

Der im Jahres – und Tageslauf erlebte Rhythmus hat Henri in der Ausbildung seines eigenen inneren Rhythmus, der ihm auch außerhalb des Kindergartens Sicherheit und Orientierung gibt, unterstützt. Wenn wir heute mit ihm ein Konzert oder eine Aufführung besuchen, bin ich immer wieder beeindruckt, wie ruhig und aufmerksam Henri dabei ist. In solchen Momenten denke ich an die Kindergartenzeit, in der so viel angelegt wurde, was ihm heute zugute kommt. Henri durfte sich zu einem selbstbewussten Kind entwickeln, das sein Leben trotz seiner Einschränkungen in vollen Zügen genießt und das seiner Familie bereichert. 

 

 

Februar 2010

Handwerker-Fasching im Kindergarten

Juni 2010

Henris letztes Sonmerfest im Kindergarten - Beim Dornröschenspiel durfte er der König sein - eine Ehre, der er mit viel Würde gerecht wurde. (Liebe Karin,  dieses Wort Würde hast du benutzt, als wir über Henris Spiel gesprochen haben und ich finde, du hast recht.)

Juni 2010

Reigen, Schiffchenziehen und viele andere Spiele auf einem unvergesslichen Sommerfest.

 

Rückblickend bin ich überzeugt, dass in unserem Waldorfkindergarten wie selbstverständlich das gelebt wurde, was man heute Inklusion nennt. Unser großer Dank gilt den beiden Erzieherinnen, die Henri diese schöne Zeit ermöglicht haben. 

 

 

30. Juni 2010

Wehmut, aber auch ganz viel Dankbarkeit und Freude an Henris letztem Kindergartentag.

Die Puppe und das Bettchen hat Henri (mit Unterstützung) mit seinen eigenen Händchen gefertigt - wie alle anderen Kinder. 

 

Abschließend noch eine kleine Geschichte ...

Traditionell bringen die Kinder am letzten Kindergartentag ihren Schulranzen mit - auch Henri stellte seinen mit großem Stolz in der Garderobe ab. Als die Verabschiedungsfeier zu Ende war, waren wir allerdings in Erklärungsnot ... Henri wollte vom Kindergarten aus direkt in die Schule gehen ... lohoss ... Schule gehn ... sagte er. Aus seiner Sicht völlig verständlich ... wie oft hatten wir ihm gesagt, dass er nach dem Kindergarten in die Schule kommt ... :-)