Schnitt

Oft braucht es einen äußeren Impuls, der hilft, den Kopf wieder etwas klarer zu bekommen. Die letzten Wochen waren (ja, ich weiß,  ... wieder einmal) kräftezehrend und (wieder einmal) ist es mir nicht gelungen, auszusteigen aus diesem sich immer schneller drehenden Rad, das (natürlich) keinen Eigenantrieb hat. Gut, dass du das erkennst sagt da jemand ... der nicht ahnt, wie groß die Kluft zwischen Erkennen und Tun sein kann. Es ist einfach alles viel zu viel - so geht das schon seit Jahren und ich kann verstehen, wenn man sich wundert, warum ich mein Tun innerhalb und außerhalb des Hauses nicht "einfach" reduziere, um wieder etwas Luft zum Atmen zu bekommen. 

Es waren gestern nur sieben Stunden vom Bemerken der Schwellung an Henris Kinn und einer leicht verzogenen Gesichtsform bis zu der (erst einmal erlösenden) Nachricht, dass dieses "raumfordernde Gebilde" keinen Anlass zu Sorge geben sollte. Diese sieben Stunden gaben Gedanken in jede Richtung genügend Raum.  - Schnitt -

Nein, es gab in den letzten Wochen keine besonderen Vorkommnisse und auch keine neuen Diagnosen. Eigentlich alles beim Alten und doch so nah am Limit wie lange nicht.

Aber es gab auch Lichtblicke: An den Sonntagen (der gemeinsame Sonntagsspaziergang muss sein) und auch am Welt-Down-Syndrom-Tag wurde mein (und damit unser aller ) High-Speed-Modus immer wieder kurzfristig unterbrochen. Wie erwartet, habe ich es zwar nicht geschafft, einen Post zum Welt-Down-Syndrom-Tag zu verfassen ... dafür haben wir Henri nach dem Besuch beim Optiker zu einem Kakau bei Tchibo eingeladen, was ihm sehr gut gefallen hat ... zumal Papa mit war. Seit das Semester wieder begonnen hat, vermisst Henri ihn die Woche über sehr - wie wir alle.

20. März 2016 - Palmsonntag

Auch wenn die nahende Pupertät unübersehbar ist - an Henris Vorlieben für Freizeitgestaltung nach der Schule hat sich nichts geändert ... Am liebsten steht er mit seiner Fahne auf dem Nachbargrundstück, beobachtet die Bäume, die Wolken und die riesigen Dampfgebilde aus dem Kraftwerk - und natürlich kann er beides genau unterscheiden :-) Wenn er nicht mit Fahnenstehen beschäftigt ist, gräbt er unermüdlich auf dem letzten noch nicht angelegten Teil unseres Gartens. Er gräbt und baut und auch wenn es auf den ersten Blick trotz stundenlanger Bauarbeit nicht vorwärts zu gehen scheint - ich bin sicher, er hat einen Plan ... zumindest ein Nahziel ;-)

Vergangenen Sonntag war der Palmhase da ... und wie jedes Jahr hat er für jedes Kind ein rotes Ei dagelassen. Vor ein paar Monaten hatte ich Amelies erstmals ernsthaft gestellte Fragen nach dem Wirken des Nikolaus aufrichtig beantwortet. Ihr trauriges  "Dann gibt es den Osterhasen also auch nicht?" wird mir wohl immer in Erinnerung bleiben. Dennoch: In den letzten Tagen hat sie mir  immer wieder erzählt, dass sie sich dieses Jahr "sooo sehr" auf Ostern freut, "noch mehr als sonst". Ich freue mich auch auf unser Ostern - alle zusammen, wie Henri sagt ... denn Anfang der Woche ist auch Marie aus Tübingen gekommen. 

21. März 2016 

Wir holen Henris neue Brille ab. Der Osterhase entlockt Henri zunächst einen spöttischen Kommentar: Guckt doof! ... und prompt demonstriert er, wie doof der Hase guckt ... und zeigt dann auch , wie "nicht nicht-doof-gucken" geht ;-) 

21. März 2016

Elias hatte unser diesjähriges Plakat zum Welt-Down-Syndrom-Tag schon vor ein paar Wochen im Rahmen seiner Jahresarbeit drucken lassen. So schön, dass wir jetzt wieder drei Kinder an der Waldorfschule haben!   

 

 

Vielleicht interessiert euch This Life I live - ich habe den Blog erst kürzlich im Netz entdeckt. Dass die kleine Indy ihre Mama so früh verloren hat, ist erschütternd und die meisten Menschen empfinden das Schicksal des Paares und der Familie wohl als "ungerecht". Mich berührt (neben den wunderschönen Fotos) die innige Verbundenheit und vor allem auch das tiefe Gottvertrauen des Paares, das die beiden in schweren Zeiten getragen hat und trägt. 

 

Es gibt noch etwas, was mich vergangene Woche hat innehalten lassen. Die Nachricht über den allzu frühen Tod des Herzkindes Paul - er wurde nur vier Jahre alt. Seine Eltern wussten schon seit einiger Zeit von der lebensdrohlichen Schwere des Herzfehlers und dass ihre gemeinsame Zeit wohl sehr begrenzt ist. Pauls Mama und ich sind seit etwa zwei Jahren in Kontakt - über henri-mittendrin hatten wir uns kennengelernt. Von Anfang an habe ich Angelikas Vertrauen, ihre Fähigkeit im Hier und Jetzt zu leben immer bewundert. 

Gerne hätte ich ihrem Brief "Abschied von Paul" und den Fotos Raum in meinem Blog gegeben. Ich war mir aber nicht sicher, ob ihr ein Teilen in diesem Rahmen recht wäre. Liebe Angelika, vielleicht liest du diese Zeilen und magst etwas schreiben? 

Zum Schluss möchte ich noch einmal auf den gestrigen Tag zurückkommen. Es begann damit, dass mich Henri beim Anblick des  Verbandes einer kleinen OP-Narbe  Wann gesund ... bald?  fragte. Nachdem ich versichert hatte, dass ich bald wieder gesund bin, fragte er mich nach Gerät, womit er  - wie seiner Gestik zu entnehmen war- den Infusomat neben dem Krankenbett und auch die Sauerstoffbrille meinte. Ich wollte ihn beruhigen und sagte, dass ich all das nicht brauche ... woraufhin er mich anschaute und dann Ich? ... Wann ich dran? fragte. Ich habe diesen kleinen Kerl in den Arm genommen und gesagt, dass er noch gaanz lange nicht "dran" ist. Nur einen Augenblick später hat Elias die Schwellung oberhalb Henris Kinns entdeckt. Wir haben gefühlt und getastet - und uns direkt nach Schulende auf den Weg in die Klinik gemacht. Ich bin soo froh, dass wir neben unserem Kinderarzt in Saarbrücken auch ganz nah einen Ansprechpartner haben - die Kinderkardiologie ist nur 15 Autominuten entfernt. Was mir auf dem Weg alles durch den Kopf gegangen ist ... ich mag es nicht schreiben. Unser lieber Dr.S. hat Henri untersucht und geschallt ... lange geschallt ... so lange, dass ich mich zu Henri auf die Liege setzen musste und Henri dann wie zum Trost meine Hand nahm. Am Ende gab Dr. S. erst einmal Entwarnung. Das ist ein ca. 6 mm großes "raumforderndes" bisher nicht näher definiertes Gebilde, gefüllt mit Flüssigkeit, dessen rundliche Form erst einmal nicht auf einen (normalerweise eher bohnenförmigen) Lymphknoten hindeutet. Es könnte zum Beispiel eine Zyste sein ... jedenfalls nichts, was nach einer bösartigen Veränderung aussieht ... sagt Dr. S. Ich vertraue ihm schon seit über 13 Jahren und nehme es als gutes Zeichen, dass er zum jetzigen Zeitpunkt weder MRT noch Blutentnahme für nötig hält. Wir sollen die Schwellung 2 Wochen beobachten - dann wird man weitersehen. 

Ich atme vorsichtig auf - auch Elias steht die Erleichterung ins Gesicht geschrieben ... er nimmt mich in den Arm und ich bin wieder einmal dankbar...

Die Erleichterung schlägt sich umgehend auf Henris Befinden nieder. Zu Hause angekommen deutet er auf die Schwellung und sagt mit einer solchen Überzeugungskraft alles weg, Mama, dass ich erst einmal an ein kleines Wunder glaube. Es war nicht alles weg, zumindest nicht die Schwellung - dafür meine Beklemmung, zumindest teilweise...

 

 

Euch allen frohe Ostern - genießt die Zeit miteinander!

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