Alt weider * ... seit Wochen begleitet mich dieser Halbsatz ... Er stammt von einer Frau aus Luxemburg
- ich nenne sie hier L. - die wir in Tannheim kennengelernt haben. Sie war mit ihrem Mann und zwei ihrer Kinder dort. Die eine der beiden Töchter, C., haben wir die ersten Wochen nur
selten gesehen - offensichtlich war sie sehr krank, sie saß im Rollstuhl und trug immer einen Mundschutz. Henris Interesse hat sie auch wegen der Infusionen geweckt, die sie - an einer
Infusionsstange aufgehängt - immer begleitet haben. Wenn C. mit ihrer Familie im Speisesaal war, hatte Henri für nichts anderes Augen ... er verfolgte C. mit Blicken, wollte sie
fotografieren und fragte immer wieder, wann die Infusionsstange "weg geht". War C. nicht beim Essen, fragte unser grammatisch immer noch etwas unbeholfener Sohn immer wieder "Wann
kommt der?" ;-) Henris übergroßes Interesse - unsere Großen nannten es Stalken - wurde mir mit der Zeit immer unangenehmer - bis ich es nicht mehr aushielt, C.s Mutter
ansprach und mich entschuldigte. L. war jedoch weder irritiert noch verärgert, sondern zeigte großes Verständnis für Henri - und so kamen wir ins Gespräch. C. war ca. 2 Wochen zuvor
lungentransplantiert worden und direkt von der Klinik nach Tannheim gekommen. Es ging ihr nicht gut und solange wir in Tannheim waren, war nicht abzusehen, in welche Richtung der Verlauf gehen
würde. Den Grund für die Lungentransplantation erfuhr ich erst ein paar Tage später. Als kleines Mädchen war C. an Krebs erkrankt - die im Rahmen der Therapie notwendigen Bestrahlungen hatten
ihre Lunge zerstört, so dass ihr kaum mehr Lebenszeit geblieben wäre, wenn sie nicht eine "neue Lunge" bekommen hätte. Die aktuelle Belastung war für L. und ihre Familie also nicht die erste
schwere Zeit - sie hatten schon einmal um das Leben ihrer Tochter bangen müssen. Bedingung für eine Transplantation der Lunge war, dass C. mindestens 5 Jahre krebsfrei ist ...
erst dann würde ein solcher Eingriff durchgeführt werden. Man stelle sich nur vor, wie es sich anfühlen mag, wenn das Kind zwar den Krebs überwunden hat ... sein Leben dann jedoch ein zweites Mal
wegen der kaum mehr funktionsfähigen Lunge bedroht ist ... und ist die Transplantion gerade überstanden, muss man sich fragen, ob sie den gewünschten Erfolg gebracht und die neue Lunge womöglich
gar nicht angenommen wird.
Schon in Tannheim habe ich L.s Mut und Zuversicht bewundert - sie hat soo viel gelacht und trotz all ihrer Sorgen war ihr Blick immer nach vorn gerichtet. Als ich dann im Gesichterbuch diesen Kommentar von ihr gelesen habe - "Alt weiter" - ging ich wie selbstverständlich aus, dass er sich auf C.s Krankheit bezieht. Auch nach Tannheim war L. öfter mit ihr in der Klinik und beim Arzt, denn sie hatte noch immer stark mit den Nebenwirkungen von Transplantation und Medis zu kämpfen. L. schrieb mir dann jedoch, dass es aktuell um sie selber ginge. Der erste schlimme Verdacht wurde durch einen zweiten abgelöst und ich staunte, mit wie viel Kraft und innerer Stärke sie sich letzte Woche operieren ließ (und war gleichzeitig auch voller Scham für meine eigenen Befindlichkeiten). Schon zwei Tage nach der OP bekam ich Nachricht, dass alles gut verlaufen ist - es geht ihr gut! Kurz danach schrieb sie mir dann, sie habe nun die Sahne auf dem Kuchen gehabt - auf die Kirsche würde sie gerne verzichten. Und heute hat sie sich auch im Gesichterbuch ganz offiziell zurückgemeldet - zurück im Leben.
Die letzten Wochen waren so turbulent, dass ich mal wieder ganz dran war, an der Grenze, am Limit ... habe sogar kaum noch fotografiert ... beim Blick aus der Tretmühle heraus steht einem so vieles im Weg, das den Blick versperrt.
Dennoch: ein paar Momente habe ich festgehalten. Alt weider!
* Nachtrag am 29.04.2015: "Alt weider" ist letzeburgisch und bezieht sich nicht etwa auf das Lebensalter, sondern ist hier im Sinne von "Immer weiter, niemals aufgeben" zu verstehen. :-)
1. April 2015 - das letzte Aspirin aus der Kapsel
Heute nimmt Henri sein Aspirin (den Inhalt einer geöffneten, eigens für ihn hergestellten Kapsel) zum letzten Mal vom Löffel. Wenige Wochen zuvor war sein flüssiges L-Thyroxin aufgrund einer Verunreinigung vom Markt genommen worden und er musste es - wohl oder übel - von einem auf den anderen Tag in Tablettenform nehmen. Er hat NICHT protestiert :-) und die Einnahme funktionierte von Anfang an so gut, dass Henri nun beide Medis in Tablettenform bekommt.
18. April 2015 - Schlüsselblumenwiese
Wie jedes Jahr bricht die allerbeste Oma auch in diesem April wieder mit Kindern und Enkeln zur Schlüsselblumenwiese auf - dieses Mal geht sogar Opa mit und beteiligt sich an Picknick, Spielen und dem Staunen und der Freude über die Kräfte des Frühlings. Auch wenn Henri es eigentlich nicht so sehr mit Blumenpflücken hat - dort oben muss es sein und natürlich hat er immer auch jemanden im Sinne, dem er die Blumen schenken wird. Dieses Mal waren es unsere Nachbarn, ein Schulfreund und dessen Mutter.
20. April 2015 - Ein vertrautes Bild: der Hasi ist krank
Wir alle wissen, dass der Hasi öfters krank ist und Infusionen braucht. Dieses Mal ist der Hintergrund besonders dramatisch. Die Operation tat so weh, dass der Hasi im Krankenhaus aus dem Fenster gesprungen und dann auf den Boden gefallen ist... So hat es mir Henri erklärt und ein Foto mit dem Handy verlangt. Es hat einige Versuche gebraucht, denn die Infusionsstange musste in voller Höhe zu sehen sein ... dass sie nun doch im unteren Teil etwas vom Sofa verdeckt ist, hat er akzeptiert.
20. April 2015 - Henri übt lesen und schreiben
Die LehrerInnen haben einen pädagogischen Tag und die Schule fällt aus. Wir lernen zu Hause regelmäßig - am Nachmittag nach der Schule und meist auch am Wochenende. Heute wundere ich mich, mit wie viel Frische und Eifer Henri am Vormittag lernen kann.
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